[German] Erlebt der Faschismus wirklich ein Comeback?
In den letzten Jahren beobachte ich (vor allem hier, in Deutschland), dass rechte Parteien immer mehr an Popularität gewinnen, wie zum Beispiel die „rechtskonservative“ und „nationalistische“ AfD (Alternative für Deutschland), aber auch kleine Parteien wie die NPD (National „demokratische“ Partei Deutschlands) oder der „Dritte Weg“ etc.
Passiert es also wieder, kehrt der Faschismus zurück, wie er in den 20er und 30er Jahren in Deutschland an der Macht war? Natürlich kann ich die Zukunft nicht vorhersagen, aber es zeichnet sich eine Art Trend ab, die nationale Befreiung der Dritten Welt schreitet voran, die Arbeiteraristokratie im imperialistischen Mutterland merkt das und beginnt, entsprechend ihrem Klasseninteresse aktiv zu handeln, ebenso das Kleinbürgertum. Gegenwärtig sieht es jedoch weniger kritisch aus, weswegen? Das möchte ich nun begründen:
Ein historisches Beispiel:
Gehen wir zurück in die Zeit nach 1920, nach Deutschland, als der Faschismus als frische, neue Bewegung aus dem sterbenden deutschen Kleinbürgertum entstand, welches gerade seine Existenzgrundlage verloren hatte. In seinem Buch „Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus“ beschreibt Alfred Sohn-Reithel seine Erfahrungen mit dem deutschen Faschismus und, wie es im Titel heißt, dessen Wirtschafts- und Klassenstruktur. In Kapitel 17 geht es speziell um die Klassenstruktur. Dort schreibt Sohn-Reithel:
„Aber die sozialen Schichten und Klassen, die den Aufstieg der Nazis und ihre Wahlerfolge auf dem Weg zur Macht begünstigten, sind nicht die, die den Nazis dienten, als sie tatsächlich an der Macht waren. Die Klassenstruktur der ersten muss daher streng von der der zweiten unterschieden werden.“
– The Economy and Class Structure of German Fascism, Alfred Sohn-Reithel, Free Association Books, London, 1987; S. 131
Das Kleinbürgertum ist ökonomisch rückständig, weil es hinter der gesellschaftlich notwendigen durchschnittlichen Arbeitsproduktivität zurückbleibt. Sie sind kleine, individuelle Produzenten, manche sind Selbstversorger (wie beispielsweise Bauern) und viele sind kleine Ladenbesitzer etc. Sie waren die frühe Massenbasis des deutschen Faschismus (wie man ebenfalls bspw. an der „Harzburger Front“ sehen kann, dazu aber später mehr). Was könnte diese Klasse veranlassen, zum Faschismus überzulaufen? Die Finanzkrise in den 1920ern oder Hyperinflation (wir erinnern uns an die fast surrealen Bilder von Menschen, die versuchten, mit Schubkarren voller Geld Brot zu kaufen!) liquidierte einen großen Teil der Rentenzuschüsse, Ersparnisse und Rücklagen dieser Klasse. Kleine Ladenbesitzer, häufiger auch Rentner, Kleinunternehmer usw. verloren ihr Geld auf einen Schlag. Sie wurden zwar noch vor der völligen Liquidation gerettet, verschuldeten sich aber oft in die Extreme, wodurch ihre Wettbewerbsfähigkeit gemindert wurde. Diese verlorene Wettbewerbsfähigkeit bedrohte viele Existenzen; man könnte diesen Prozess, wie auch Reithel erwähnt, als „Proletarisierung“ des Kleinbürgertums bezeichnen. (The Economy and Class Structure of German Fascism, Alfred Sohn-Reithel, Free Association Books, London, 1987; S. 132) Viele dieser Ladenbesitzer profitierten anfangs von den Maßnahmen des NS-Regimes, zum Beispiel der Zwangseinstellung von Arbeitslosen und der Senkung von Löhnen.
Von hier aus müssen wir eine teilweise Verbindung zur Theorie der Arbeiteraristokratie und zur Dependenztheorie herstellen: Wir wissen, dass ein Teil der Arbeiterklasse „verbürgerlicht“ ist, d.h. sie profitiert materiell vom Imperialismus und der Ausbeutung der Peripherie (ob national oder kolonial spielt hier eine untergeordnete Rolle), durch einen „Lohnüberschuss.“ Reithel beschreibt, wie zu dieser Zeit in Deutschland die „Neue Intelligenzia“ auf dem Vormarsch war. Diese „Neue Intelligenzia“ bestand hauptsächlich aus Ingenieuren und Technikern, die die Großproduktion überwachten, installierten und am Leben hielten. Reithel erläutert hier die Rolle dieser Intelligenzia im Kapitalismus:
„Die ‚neue Intelligenzia’ in Deutschland nahm eine problematische Position zwischen Kapital und Arbeit ein und fühlte sich als klassenneutral. Sie stand einerseits auf der Lohnliste des Kapitals, auf derselben Seite wie die Arbeit. Andererseits wurde sie in den Dienst des Kapitals gestellt, um funktionell über die Arbeiter zu herrschen.“
– The Economy and Class Structure of German Fascism, Alfred Sohn-Reithel, Free Association Books, London, 1987; S. 135
Diese Schicht stellte die technisch-intellektuellen Kapazitäten der NSDAP; sie waren u.a. als „Streikbrecher“ an der Zerschlagung von Arbeiterstreiks beteiligt, besonders um 1920. Der Krieg nahm Deutschland die Kolonien weg – und damit auch die materielle Grundlage für die Löhne dieser Arbeiter, die sich verzweifelt und verarmt der NSDAP zuwandten. Einige gingen aber auch zu den Kommunisten über, doch diese scheiterten im ideologischen Kampf gegen den Faschismus, u.a. an den widersprüchlichen und schlicht falschen Anweisungen der KomIntern (z.B. „Sozialfaschismustheorie“ oder diverse andere Theorien und Definitionen des Faschismus, die nicht der Realität entsprachen, aber dazu wird es einen eigenen Artikel geben). Aber warum veränderte sich die NSDAP nach ihrer Machtübernahme, warum kapitulierte sie vor dem Industriekapital? Der Faschismus kam immer dann auf, wenn der Kapitalismus in der Krise war, wenn die Bourgeoisie gegen die organisierten Arbeiter kämpfte, wenn sie gespalten und verwundbar war, wenn sie eine Regierung brauchte, die eingriff und ihr half, sich zu erholen. Schon ein kleiner Blick auf die Statistiken aus den Jahren 1920-1933, insbesondere die Arbeitslosenzahlen und die Mitgliederzahlen oder Wahlergebnisse der NSDAP, zeigt, dass es einen Zusammenhang zwischen Faschismus und Kapitalismus in der Krise gibt.
Das zwang das schwächelnde Industriekapital, ein Bündnis mit dem Faschismus einzugehen, zumal die KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) stärker wurde und auch die anderen „bürgerlichen“ Parteien geschwächt waren (hier vor allem die SPD, Sozialdemokratische Partei Deutschlands). Die industriellen Kapitalisten mussten sich also umsehen: „Die bürgerlichen Parteien versagen, wer wird unser nächster Kandidat sein? Die KPD? Die wollen uns enteignen und zerschlagen! Also bleibt nur der Faschismus!“ Auch wenn die beiden (Industriekapital und Faschismus) sich nicht wirklich ausstehen konnten, wurden sie aufgrund gegenseitiger Notwendigkeit zusammengeschweißt. Die Aufhebung der bürgerlichen Gesetze half auch dem Industriekapital, seine wirtschaftliche Herrschaft auszuüben und sich von der Krise zu erholen. Der Faschismus ist also eine kleinbürgerliche Bewegung, eine „bonapartistische“ Bewegung, die vom industriellen Kapital unterstützt wurde. „Bonapartistisch“, weil er einen Staat schuf, der gegen die organisierte Arbeiterbewegung kämpfte und zu einer Zeit entstand, als die Bourgeoisie gespalten, desorientiert und schwach war. Ähnlich in Frankreich nach dem Putsch von 1851, wo der Namensgeber des Begriffs, Louis Napoleon Bonaparte III, regierte. Der Begriff selbst stammt aus Marx‘ Werk „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“.
Industriekapital im Konflikt
Was Reithels Buch so extrem gut macht, ist seine Beschreibung des Konflikts zwischen der deutschen Manufakturindustrie und Schwerindustrie, dem „Brüninger Camp“ und der „Harzburger Front.“
Das Brüninger Camp bestand hauptsächlich aus denjenigen, die an einer traditionellen Lösung der Finanzkrise von 1929 interessiert waren, also den Versuch, den internationalen Handel durch Verträge, Kredite etc. wiederzubeleben. Ein wichtiger Vertreter des Brüninger Camps war Siemens. Siemens hatte in der Finanzkrise niemals einen Bankrott zu befürchten, wie andere Firmen (bspw. IG Farben), jedoch war Siemens abhängig von Verträgen mit anderen Ländern, die dem Unternehmen ein Monopol auf die Industrialisierung dieser Länder zusicherte. Siemens durfte dann also Zugstrecken bauen, die Infrastruktur elektrisieren usw. Der Kampf um diese Verträge war jedoch schwierig und konkurrenzreich, amerikanische, britische und deutsche Firmen kämpften regelrecht um diese Verträge, dementsprechend freuten sich die Siegermächte des Ersten Weltkrieges, dass Siemens aufgrund der antisemitischen Politiken Hitlers international boykottiert wurde und Siemens seine Vormachtstellung im internationalen Markt verlor. Die Konzernleitung war natürlich empört über die Hitlerdiktatur. Die Art der Krisenbewältigung störte Siemens ebenfalls, der Konzern beruhte auf dem Prinzip „höchste Leistung für höchstes Geld“. Jedoch ist das Preis-Leistungs-Verhältnis von Produkten nicht nur abhängig von den Firmenstrategien und den Kosten, sondern auch von der Währungspolitik und dem relativen Preislevel der jeweiligen Länder zu den anderen Ländern. Die meisten internationalen Handelsverträge wurden in Pound Sterling abgewickelt, umso problematischer für Deutschland, als Großbritannien den Pound vom Goldstandard im Jahr 1931 abkoppelte. Das Weltpreisniveau sank zusammen mit dem Pfund und die deutsche Mark blieb auf der Insel der überhöhten Kostenstandards für ihre Exporte zurück. Natürlich wollte Deutschland dem Wege Großbritanniens nicht folgen, aus Angst, eine Inflationswelle wie im Jahr 1920 könnte sie erneut treffen.
Noch schlimmer wurde dieses Problem, als Hitler mit dem Drucken von vier Milliarden Reichsmark eine Reflation und eine Absorption der sieben Millionen Arbeitslosen einleitete und das Preisniveau erneut anhob. Diese Politik führte zu einem Stopp der Betriebsrationalisierungen und einem Ruf nach Zwangskartellisierungen.
In anderen Ländern, wie die USA, wurde diese Reflation durch ein Entwerten des Dollars gekontert, somit blieb die Preiserhöhung in den USA und beeinträchtigte die internationale Wettbewerbsfähigkeit nicht, Siemens profitierte sogar von dieser Entwertung des Pfunds und Dollars in den jeweiligen Regionen, jedoch war dies in Deutschland nicht der Fall unter Hitler, somit wurde die Wettbewerbsfähigkeit schwer beeinträchtigt. Hitler versuchte dies mit einem systematischen Senken der Löhne zu kontern, die sieben Millionen Arbeitslosen wurden unter dem Lohnniveau von 1931 eingestellt („Massenkonjunktur nicht Lohnkonjunktur“ wie es im Nazijargon hieß).
Für Siemens war dies jedoch eine Katastrophe. Der Höhepunkt wurde erreicht, als Hitler seinen Antisemitismus auf jüdische Forscher und Arbeiter ausweitete, Siemens war abhängig von seinem Research & Development Abteil, es war unglaublich wichtig, dass Siemens die technologische Vorhut bildete. Viele Forschungsprojekte gingen verloren mit dem Abwandern der jüdischen Forscher und ausgebildeten Arbeiter, die Siegermächte profitierten erneut und Siemens verlor auf ganzer Linie.
Auch noch wichtig zu erwähnen ist, dass Siemens einer der ausgebildetesten Arbeitsarmeen Deutschlands besaß. Sie hatten exzellente Verbindungen und Beziehungen zu den Gewerkschaften der Arbeiter und versuchten ein Eindringen der Nationalsozialisten in jene zu verhindern, aus Angst, sie würden die Beziehungen sabotieren. Dies geschah dann im Jahr 1935. Die Nazis spalteten die Arbeiterschaft durch Rassismus und Antisemitismus und bereiteten den Boden für die Einführung von intensivierter Ausbeutung vor.
Es folgte Siemens Degradierung zu einer bloßen Waffenfabrik des NS-Regimes, die Rüstungsverträge konnten die Verluste durch das Herausdrängen aus dem internationalen Markt nicht amortisieren.
Währenddessen kamen die anderen Teile der bürgerlichen Gesellschaft in der Harzburger Front zusammen. Reithels Ausdruck dazu ist sehr passend:
„Die Konstellation summierte sich in dem Fazit, daß die ökonomisch intakten Teile der deutschen Wirtschaft politisch paralysiert waren und nur die ökonomisch paralysierten Teile politische Bewegungsfreiheit besaßen.“
– The Economy and Class Structure of German Fascism, Alfred Sohn-Reithel, Free Association Books, London, 1987; S. 44f.
Auf der einen Seite stand das Kleinbürgertum, das am Rande der Proletarisierung standen, Teile der Arbeitslosen, dazu noch Beamten und Intellektuelle. Auf der anderen Seite standen die Großunternehmen wie Siemens, die mit versuchten, die Krise mit traditionellen Mitteln zu beheben durch die Brüning-Regierung. Hinter letzterem Camp standen jedoch auch die großen Stahl- und Kohleindustrialisten, Flick, Thyssen usw. wie kann das nun erklärt werden, wieso stellten sich diese Großindustrialisten als Financiers des Faschismus und ihrem „antikapitalistischen“ Charakter hin? Nach dem Ersten Weltkrieg verlor die deutsche Stahlindustrie ihre Stellung in der Welt, davor erlangte sie riesige Verträge, mögen es nun Rüstungs- oder andere Verträge sein. Nun jedoch war diese Quelle entfallen. Die Stahlindustrie fiel in die untergeordnete Position und nach vorne traten die großen Manufakturindustrien wie die Chemieindustrie, Elektrotechnikindustrie etc. (beispielsweise IG Farben und Siemens, beide Mitglieder des Brüninger Camps). Für den Stahlhof (das große Stahlkartell, welches die meisten großen Firmen vereinigte) war also eine Politik der Wiederaufrüstung eine gute Quelle für neue Verträge und somit neuen Profit, ebenfalls könnte sie ihre Produktionsstätten von den Ketten des Marktes befreien und das volle Potential der Arbeitsarmeen ausschöpfen.
Hitler selbst war kein großer Freund von seiner Rolle in der Harzburger Front, als Puppe oder Marionette der Industrie. Er wollte sich und die Nationalsozialisten weiterhin „antikapitalistisch“ präsentieren – auch wenn das de facto niemals wirklich ein Programmpunkt war, wollte er doch eine „Balance“ zwischen Sozialismus und Kapitalismus darstellen.
Das deutsche Monopolkapital war als tief gespalten, irgendwie mussten sie wieder zusammengeschweißt werden, ansonsten könnten sie Gefahr laufen, von den Kommunisten zerstört zu werden. Hier kommt nun der MWT – der Mitteleuropäische Wirtschaftstag – in Spiel:
Wenn jemand zu der Ausweitung und Vereinigung des deutschen Finanzkapitals beitrug, dann war es der MWT. Speziell Krupp war hierbei ein ganz besonderes Mitglied, als eine Firma mit spezieller vertikaler und horizontaler Organisation, von Manufaktur- bis zur Schwerindustrie hielt Krupp viele Industriebranchen fest in seiner Hand. Des Weiteren war Krupp vollständig finanziell unabhängig, die Firma wurde innerhalb der Familie weitergegeben und es wurden nie Schulden mit anderen gemacht. Krupp konnte der Politik der Harzburger Front am längsten widerstehen, sie nahm einen speziellen Platz als „Kreuzung“ innerhalb der Antagonismen des deutschen Finanzkapitals ein. Somit half Krupp auch dabei, das Monopolkapital neu zu formieren – mit einer Aussicht auf imperialistischer Expansion, in Form von Krieg. (The Economy and Class Structure of German Fascism, Alfred Sohn-Reithel, Free Association Books, London, 1987; S. 47f.)
Das Industriekapital also benötigte eine Regierung, welche die Profitrate anhob, dies konnte nur durch ein Senken der Löhne erreicht werden, was die Papen-Regierung 1932 zum ersten mal durchführte. Die Gewerkschaften und die Arbeiter akzeptierten die erste Lohnkürzung, aufgrund der Hoffnungslosigkeit der Lage. Als dann jedoch die zweite Lohnkürzung beschlossen wurde, gab es heftigen Widerstand – der Klassenkampf intensivierte sich. Die KPD führte spektakuläre Streiks an, die immer militanter wurden, besonders der Streik mit rund 20.000 Transportarbeitern in Berlin war besonders wichtig. Als Folge gewannen die Kommunisten 700.000 neue Stimmen hinzu in den Wahlen am 6. November 1932, während die NSDAP zwei Millionen Stimmen verlor. Diese immense Niederlage schockte die Industrie, hier kam es zu dem Punkt an dem sie sich fragten. „Wenn die Massen nicht zur NSDAP überlaufen wohin werden sie dann gehen… (Natürlich zur KPD!)“
Dieser Kampf war auch gezeichnet durch den langsamen Zerfall der Sozialdemokraten und dem eher stärkeren Auftreten der Kommunisten. Die SPD attackierte die KPD während die KPD die SPD als „Sozialfaschisten“ deklarierte.
Diese ganzen Fortschritte wurden jedoch mit der Formation der Hitlerregierung zerstört. Sofort nach der Machtergreifung wurden die Gewerkschaften langsam desintegriert (zum Beispiel durch die „Gleichschaltung“), mit dem Ermächtigungsgesetz konnten die Nationalsozialisten ihre Vormacht gegenüber ihren großbürgerlichen Partnern ausbauen. Danach, am 2. Mai, wurden die Politiken umgesetzt, die den Kapitalismus retten sollten, wie bspw. die Lohnpolitik.
Ohne die Spaltung des Industriekapitals und somit des Monopolkapitals, der langen antidemokratischen Geschichte und der prekären Situation der Wirtschaft bzw. dem intensivierten Klassenkampf, hätte es wahrscheinlich kaum Faschismus gegeben, wie wir ihn heute kennen. Stattdessen wären wohl eher die „klassischen“ bürgerlichen Parteien an der Macht gewesen. Nun möchten wir jedoch die Parallelen zur heutigen Zeit ziehen und betrachten, inwiefern Faschismus heute relevant ist.
Moderner Faschismus
Nun, wir können festhalten, dass es derzeit, aufgrund von Coronapandemie, eine Krise gibt. Aber diese Krise ist nicht wie die damalige Finanzkrise oder wie die Hyperinflation von 1920 oder der Erste Weltkrieg. Die Bourgeoisie ist nicht gespalten, sie ist nicht desorientiert, die Kleinbourgeoisie ist nicht wirklich verarmt.
Während der Krise 2008 gab es einen kurzen Aufstieg faschistischer Parteien in Ländern wie Griechenland, als in Griechenland 2012 die Arbeitslosenzahlen stiegen, gewann die faschistische Partei „Chrysi Avgi“ („Goldene Morgenröte“) viele Stimmen. Zu einem faschistischen Putsch kam es jedoch nicht. Auch in den anderen imperialistischen Ländern ist nicht viel passiert. Die Bourgeoisie bevorzugt immer die bürgerliche Demokratie, sie ist die perfektionierte Herrschaft der Bourgeoisie, nur im Notfall, nur in der Krise braucht sie brutale Repressionen, Korperatismus usw. Es gibt einen langsamen Anstieg rechter Parteien im Allgemeinen (was ein besorgniserregender Trend ist, aber wir sind noch weit von der Situation 1929-1933 entfernt), aber diese sind nicht mit den faschistischen Parteien von damals vergleichbar, sie sind in ihrem Kern immer noch „bürgerlich“, sie sind nicht wie die frühe NSDAP.
Das soll übrigens nicht heißen, dass Antifaschismus nicht notwendig ist, aber viele Linke übertreiben mit dem Begriff „Faschismus“, sie sehen nicht das Phänomen des Faschismus, das wir in Deutschland oder Italien (oder ggbfs. Japan etc.) beobachten konnten, sie relativieren den Begriff. In der Zukunft könnte es natürlich ein Wiederaufleben des Faschismus geben, aber es ist fraglich, ob dies wirklich in der Form des Nationalsozialismus stattfinden wird, der in der heutigen faschistischen Szene eher unpopulär und in den Hintergrund gedrängt ist. In dem Buch „Confronting Fascism“ erklärt Hamerquist die heutige neue faschistische Szene, und ich zitiere:
„Wie unglücklich das auch für ihn und seine Organisation war, Pierces kategorische Kritik an der US-Gesellschaft in den Turner-Tagebüchern lieferte einen Teil des Anstoßes für das Wiederauftauchen des „sozialistischen“ Flügels des Faschismus von Strasser/Rohm in den USA, der so genannten „dritten Position“ – einer faschistischen Variante, die sich als „nationalrevolutionär“ präsentiert, mit einer Politik „jenseits von links und rechts“. (Es scheint zwei verschiedene Flügel der dritten Position zu geben. Der eine nennt sich Internationale Dritte Position, ITP, und neigt dazu, vorhersehbar rassistisch, antifeministisch, antisemitisch, homophob usw. zu sein. Es gibt auch einen deutlich religiösen Charakter in ihrer Politik. Der andere Flügel nennt sich „Nationalrevolutionär“ oder „Nationalbolschewik“ und ist viel radikaler; er greift den „Hitlerfaschismus“ kategorisch an und gibt sich Mühe zu argumentieren, dass sie alle Bewegungen unterstützen, die wirklich antikapitalistisch sind. Einige Nationale Revolutionäre wie die NRF in England sind trotz ihrer Unterstützung für bestimmte Befreiungsbewegungen, z. B. die irische und palästinensische, immer noch unverhohlen rassistisch und weiß-supremistisch. Andere, wie in einigen Zitaten angedeutet, die ich später vorstellen werde, behaupten, die weiße Vorherrschaft völlig abzulehnen. Verschiedene nationalrevolutionäre Gruppen und Ideologen haben auch Differenzen über Antisemitismus, die parallel zu ihren Differenzen über Rassismus und antiimperialistische nationale Befreiung verlaufen. Ich würde empfehlen, dass man sich das Material beider Gruppen ansieht. Das kann man leicht tun, indem man von den Websites der „Americanfront“ und der „International Third Position“ ausgeht.)“
-Confronting Fascism Discussion Documents For A Militiant Movement, Don Hamerquist, J. Sakai, Anti-Racist Action Chicago, Mark Salotte, Kersplebedeb Publishing, Montreal; S. 27f.
Hamerquist fasst den Kampf zwischen den faschistischen Positionen sehr gut zusammen. Das industrielle Kapital wird in Krisenzeiten seine Freunde finden, wenn es z.B. zu großen nationalen Befreiungen und einem Wiederaufleben des Sozialismus in der Peripherie kommt und somit die Profitrate erneut zwangsweise abstürzt, wird das industrielle Kapital mit dem Kleinbürgertum kooperieren – bis es wieder Maßnahmen durchsetzt, die das Kleinbürgertum vernichten, ähnlich wie die NSDAP ab 1933.
Wie sieht es jedoch konkret in Deutschland aus?
In Deutschland rückten die klassisch „nationalsozialistisch“ ausgerichteten Parteien eher in den Hintergrund – diese Entwicklung wäre somit ähnlich zu den USA und Großbritannien. Es braut sich also erneut eine Bewegung zusammen, die eher Position zur frühen NSDAP vertritt, den sogenannten „linken“ Faschisten. Beispielsweise die sogenannten „Nationalrevolutionären“, die sich politisch eher an den „Strasseristen“ der damaligen NSDAP orientieren. Sie unterstützen zum Beispiel nationale Befreiungsbewegungen in kolonisierten Nationen, beispielsweise in Irland, Palästina und den Basken oder auch Österreich, welches als „besetzt“ angesehen wird und anscheinend irgendwie organisch ein Teil Deutschlands sein soll.
„Sie stützen sich auf einen alten Grundsatz des rechten Dissenses in Deutschland – den Glauben, dass ein „Dritter Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus notwendig ist und dass Deutschland prädestiniert ist, die Menschheit dorthin zu führen. Der „Dritte Weg“ der NRs basiert auf Nationalismus, einem Sozialismus „der spezifisch nationalen Art“ — kurz, einem „nationalen Sozialismus“.“
Keiner dieser Parteien hat jedoch irgendwie eine große Relevanz, selbst die Republikaner, die vor knapp zwei bzw. drei Jahrzehnten relativ relevant waren, sind zerfallen und wurden in die heutige AfD liquidiert, welche derzeit auch ein wenig an Relevanz verliert. Keiner dieser Parteien ist jedoch wirklich „faschistisch“, sie haben jedoch beachtliche Verbindungen zu Faschisten wie beispielsweise der NPD:
„Die Republikaner, eine politische Partei, die 1983 vom ehemaligen Waffen-SS-Mitglied Franz Schönhuber gegründet wurde, haben mehrfach jegliche Verbindung zu den Nazis geleugnet – sie präsentieren sich als nichts anderes als eine „Gemeinschaft deutscher Patrioten“. Das hält sie jedoch nicht davon ab, explizit einwanderungsfeindliche Positionen einzunehmen, insbesondere gegen Türken, oder die Unzufriedenheit über den Zustrom von Ausländern im Allgemeinen auszunutzen, oder zu behaupten, dass Deutschland „für Deutsche“ sein sollte. Die Anwesenheit einer „Flutwelle“ von Asylbewerbern in der Bundesrepublik, glauben sie, verursacht „den Import von Kriminellen“, „soziale Spannungen“ und „finanzielle Belastungen“.“
– Eco Fascism Lessons From The German Experience, Janet Biehl, Peter Staudenmeier, Edinburgh, 1995
„Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), die 1964 vor allem von Leuten gegründet wurde, die vor 1945 aktive Nazis gewesen waren, stieg in den 1960er Jahren zu großer Bekanntheit auf. Diese aggressiv nationalistische Partei forderte lange Zeit die deutsche Wiedervereinigung, während ihre programmatische Literatur beklagt, dass „zwei Kriege innerhalb einer Generation … die materielle Gesundheit des deutschen Volkes zerfressen haben.“ (Was diese Kriege den Juden angetan haben, wird nicht erwähnt, wie Ditfurth trocken anmerkt.) Die NPD beklagt die Zerstörung der Umwelt, die „nachteilige Auswirkungen auf die Volksgesundheit hat.“ Deutsche sollten keinen „chemischen Farbstoffen“ ausgesetzt und vor „Erbkrankheiten“ geschützt werden, während AIDS-Kranke „meldepflichtig“ sein sollten. Die „Erhaltung“ des „deutschen Volkes“ erfordere, dass deutsche Frauen vermehrt gebären, deshalb sei die NPD gegen die „Abwertung und Zerstörung der Familie.“ Da die Abtreibung „die biologische Existenz unseres Volkes“ bedroht, sollen Frauen, die abtreiben, bestraft werden. Die Partei fordert eine mütterliche und hauswirtschaftliche Ausbildung der „weiblichen Jugend“.“
– Eco Fascism Lessons From The German Experience, Janet Biehl, Peter Staudenmeier, Edinburgh, 1995
Auch bemerkenswert ist die Konzentration vieler moderner faschistischer Parteien auf den Umweltschutz. Es sind auch viele „ökofaschistische“ und „ökovölkische“ Parteien entstanden, welche versuchen bspw. den (Sozial-)Darwinismus mit umweltschützender bzw. umwelterhaltender Politik zu kombinieren.
Das Fazit
Wieder einmal kann ich nur an die Menschen appellieren, der Faschismus verlängert nur ein System, das aufgrund seiner inneren Widersprüche ohnehin zum Scheitern verurteilt ist. Die Zukunft ist immer noch – und wird sein – die Einführung der kommunistischen Produktionsweise, durchgesetzt durch die Diktatur des Proletariats, durch eine Revolution.
Derzeit sind wir nicht in einer so akuten Krise, welche das Monopolkapital spalten und daher den Boden für den Faschismus vorbereiten könnte. Was jedoch beunruhigend ist, ist die Gefahr, dass das Kleinbürgertum wieder an den Rand der Proletarisierung getrieben wird, wie es 1920 geschehen ist.
Wichtig ist auch, dass der „alte“ Nationalsozialismus eine sehr tote Bewegung ist und der Faschismus höchstwahrscheinlich in einer Gestalt auftritt, die wir so bisher noch nicht gesehen haben. Jenes ist bereits in anderen Ländern geschehen, in der Peripherie, ein konkretes Beispiel dafür wäre der Iran, wobei die islamische Regierung bzw. die islamische Revolution denselben Weg durchgegangen ist, wie die NSDAP und auch dieselbe Massenbasis hatte.
Einige letzte Worte: Auf die ganze Idee kam ich durch eine Diskussion mit meinen Freunden in der Stadt. Mein Dank gilt daher ganz besonders meinen zwei Freunden, welche mich auf dieses wunderbare Thema gebracht haben.