[German] Von Marx zu Mao oder von Mao zu Marx? - Auf ein Neues: Maoismus
Vorwort
Der Marxismus befindet sich in einer tiefen Krise. Wir sind nicht nur in Hunderte verschiedene Ideologien und Überzeugungen gespalten, sondern auch in unserem Verständnis und Formulierungen der marxistischen Kritik am Kapital. Ich war lange Zeit in meinem Leben ein Maoist. Kein Ahnänger der Gonzalo-Gedanken, wie man ihn vielleicht von den "Red Guads" in Austin oder "Tjen Folket" in Norwegen kennt, aber ich habe mich dennoch der maoistischen Philosophie und seinen Ansichten über Sozialismus, Kapital, Demokratie und so weiter verschrieben. Jetzt ist es an der Zeit, meine früheren Ansichten zu prüfen und ihre Fehler zu finden, ich werde versuchen, eine Kritik des Maoismus zu formulieren. Ich werde versuchen, die verschiedenen Ansichten und Meinungen zu den Themen, über die ich sprechen werde, so vielfältig und präzise wie möglich darzustellen. Es besteht kein Zweifel daran, dass mir einiges Wissen und Facetten fehlen werden, dennoch hoffe ich, dass meine Erkenntnisse nützlich sein werden.
Massenlinie und Demokratie - Kapitulation vor dem Kapital
Die unmittelbarste und wichtigste Kritik, die ich am Maoismus ausüben kann, ist seine Fetischisierung der Demokratie als "die korrekteste Methode" sowohl für die Organisation der Partei als auch des Staates. Obwohl dies wie ein kleines Problem oder sogar kein Problem erscheinen mag ("sind Sozialisten am Ende nicht für die Demokratie?", könnte man fragen), ist dies tatsächlich ein großes Problem.
“The relation between the secretary and the committee members is one in which the minority must obey the majority.” [Betonung von der Quelle] The secretary should not, on the pretext that he was responsible for guarding the pass, violate the Party’s principle of democratic centralism and negate the decision by the majority. He should resolutely carry out democratic centralism, maintain Party collective leadership and rely on the ”squad members” to guard the pass instead of relying on himself.
"Das Verhältnis zwischen dem Sekretär und den Komiteemitgliedern ist ein Verhältnis, in dem die Minderheit der Mehrheit gehorchen muss." [Betonung von der Quelle] Der Sekretär darf nicht unter dem Vorwand, er sei für die Bewachung des Durchganges zuständig, das Prinzip des demokratischen Zentralismus der Partei verletzen und die Entscheidung der Mehrheit negieren. Er sollte den demokratischen Zentralismus entschlossen durchsetzen, die kollektive Führung der Partei aufrechterhalten und sich bei der Bewachung des Durchganges auf die "Kader" verlassen, anstatt sich auf sich selbst zu verlassen.
-A Discussion on Party Democratic Centralism, Peking Review, #43, Oct. 22, 1971
Es gibt ein großes Problem mit dem "demokratischen Zentralismus", das nicht im Zentralismus selber, sondern im Adjektiv "demokratisch" liegt. Genauer gesagt liegt es im demokratischen Organisationsprinzip begründet. Die Demokratie ist untrennbar mit den grundlegenden sozialen Beziehungen und Formen des Kapitalismus verbunden. In der Demokratie ist jeder formal gleich, seine individuellen Verhältnisse und Bedingungen sind gegenüber dem Staat suspendiert(!) und er ist während der Zirkulation gleich (wenn er zum Beispiel eine Ware kauft). Der Mensch ist nichts weiter als eine gleiche Ware, er wird zum Bürger, der aller konkreten Erscheinungen beraubt und in ein "ideales" freies Wesen verwandelt wird, das mit allen anderen gleichgestellt ist. Der Staat - die Organisation aller Bürger - ist somit die totale Negation jeglicher Klassenorganisation, da im Reich des Staates niemand an eine Klasse oder andere Organisationsformen gebunden ist; im demokratischen Staat sind Klassen nicht existent, sie werden zerstört und in eine fiktive Gesellschaft freier und gleicher Mitglieder überführt.
Die maoistische Fetischisierung der Demokratie hat schreckliche Folgen. In der Partei wird nun jedes Mitglied zu einem atomisierten Arbeiter, einem freien und gleichen Mitglied gemacht. Jede Meinung ist gleich viel wert, über jeden Entwurf muss abgestimmt werden und die Führer der Partei sollen demokratisch von der Mehrheit bestimmt werden. Die Partei ist die Organisation der klassenbewusstesten Proletarier, ihre Führer sind die sachkundigsten und erfahrensten Mitglieder dieser Klasse und kennen das marxistische Programm in allen Einzelheiten. Warum sollte es eine demokratische Entscheidung darüber geben, wer der Klassenbewussteste ist? Warum können sie abgesetzt oder ihre Entwürfe ignoriert werden? Die Korrektur von Fehlern und falschen Meinungen braucht keine Demokratie, im Gegenteil, die Gleichmacherei aller Mitglieder - losgelöst von ihrem Wissen, ihrem Klassenbewusstsein und ihren Bedingungen - führt zu einem falschen Programm, sie führt zu gewerkschaftlichem Bewusstsein und bringt keinen Kampf voran, sie stärkt die Herrschaft des Kapitals vor allem innerhalb der Partei. Für Lenin ist das marxistische Programm der wichtigste Aspekt der Partei, es bestimmt ihre Klassenanschauung, deshalb spricht er von der Iskra als dem eigentlichen Kopf der Partei:
Ich möchte nur bemerken, daß die Zeitung der ideologische Führer der Partei sein kann und muß, daß sie die theoretischen Wahrheiten, die taktischen Leitsätze, die allgemeinen organisatorischen Ideen, die allgemeinen Aufgaben der Gesamtpartei in diesem oder jenem Augenblick zu entwickeln hat. Die unmittelbare praktische Führung der Bewegung aber kann nur in den Händen einer besonderen zentralen Gruppe liegen (nennen wir sie kurzerhand Zentralkomitee), die mit allen Komitees persönlich in Verbindung steht, alle besten revolutionären Kräfte aller russischen Sozialdemokraten in sich vereinigt und alle gesamtparteilichen Angelegenheiten leitet
-Lenin Werke Band 6, Dietz Verlag Berlin, 1956; S. 228
Das Programm ist ein Ideal, das "über" der Partei steht und alle ihre Handlungen bestimmt, alles muss über das Programm rechtfertigt werden, inwieweit es bspw. die Zerstörung des Kapitals und seiner Gesellschaftsformen vorantreibt, das ist die einzige Form des Handelns einer Partei, und dazu bedarf es keiner Demokratie, sondern lediglich des Zentralismus. Die Hinzufügung des Adjektivs "demokratisch" zum Wort "Zentralismus" bedeutet nicht, dass die Partei vollständig demokratisch ist, sondern dass die Demokratie dem Zentralismus untergeordnet ist. Zentralismus bedeutet für Lenin die Zentralisierung aller Formen der Organisation und des Kampfes auf die kommunistische Partei, insbesondere auf ihren Kern und ihr marxistisches Programm, und nicht die "Zentralisierung der richtigen Ideen" von den "Massen".
Die Massenlinie ist in der Tat schlimmer. Nicht nur, weil sie Bauern und Proletarier gleichsetzt und die "Massen" erschafft (was in gewisser Weise dem Begriff "Bürger" ähnelt, den ich vorhin verwendet habe), sondern vor allem, weil sie von der Partei verlangt, sich diesen "Massen" unterzuordnen, anstatt ihr Programm diktatorisch durchzusetzen (obwohl "diktatorisch" in diesem Sinne keine reine Herrschaft durch die Partei ist, die Diktatur stellt die maximal mögliche Konsultation mit der Basis da, während die Partei in sich vollständig geeinigt sein muss). Maoisten verstecken dieses Problem gewöhnlich hinter dem Vorwand, dass "die Ideen der Massen auf revolutionären Programmen beruhen müssen und das Ergebnis einer objektiven Erforschung der materiellen Bedingungen sein müssen", aber sie übersehen, dass auch die Beobachtung dieses Objekts historisch und gesellschaftlich (d.h. in diesem Zusammenhang durch den Kapitalismus) vermittelt und daher niemals "objektiv" ist. Die Hand des Kapitals ist absolut und alles, was von ihr berührt wird, muss ihrer Logik folgen, das Kapital ist in der Tat die Hand des Midas unserer sozio-historischen Epoche (wir werden dieses Thema später im Abschnitt über Philosophie vertiefen). Wenn die Massen das richtige Programm und die richtige Theorie selbst herausfinden könnten, indem sie einfach die Natur studieren, wozu ist dann überhaupt eine Partei nötig? Warum hat Lenin die Notwendigkeit einer "äußeren" Instanz formuliert, die das Bewusstsein in die Massen bringt und das Proletariat zu einer Klasse formt? Ob es sich nun um eine Demokratie der 1% oder um eine Demokratie der 99% handelt, im Kern wird sie immer mit dem Kapitalismus verbunden bleiben, der Kommunismus wird immer die Negation der Demokratie bleiben. Ich muss betonen, dass das Bündnis zwischen Bauern und Proletariern von größter Bedeutung ist. Ein Bündnis setzt jedoch nicht voraus, dass die beiden Klassen gleichgeschaltet und von ihren konkreten Beziehungen abstrahiert werden, sondern es bewirkt genau das Gegenteil.
Die Massenlinie und die Fetischisierung der Demokratie ist in der Tat eine Kapitulation vor dem Kapital, die Unterordnung des Kerns der Diktatur des Proletariats und der revolutionären Organisation unter dem Kapital, dem demokratischen Prinzip.
Übergangsperiode oder Sozialismus - Stalinistischer Katechismus für Anfänger
Bisher habe ich zwei marxistisch-leninistische Konzeptionen des Sozialismus gesehen:
1. Der Sozialismus ist eine Produktionsweise, die zwischen Kapitalismus und Kommunismus steht und Elemente im Sinne der Produktionsverhältnisse beider enthält. Es gibt keinen Klassenkampf (siehe Stalins Buch über die ökonomischen Probleme der UdSSR), die Produktionsmittel sind verstaatlicht und einige Formbestimmungen des Kapitalismus existieren noch. (Dies ist in der Regel die klassische marxistisch-leninistische Konzeption des Sozialismus)
2. Sozialismus ist die Bewegung oder der Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus, in dem es noch Klassenkampf gibt, sowohl kapitalistische als auch sozialistische Verhältnisse herrschen und die Diktatur des Proletariats noch existiert. (Dies ist in der Regel die maoistische Auffassung von Sozialismus)
Beide Auffassungen haben ihre eigenen Probleme, aber ich werde mit der ersten beginnen:
1. Die maoistische Kritik an der stalinistischen Konzeption ist in der Tat nicht falsch. Sozialismus kann nicht klassenlos sein und gleichzeitig Warenproduktion, Geld usw. haben. Ebenso ist die Verstaatlichung der Produktionsmittel nirgends ein Übergang zum Kommunismus, wohl aber die Veränderung der tatsächlichen Produktionsverhältnisse. Die stalinistische Konzeption ist wahrscheinlich die schlechteste und vulgärste Konzeption des Sozialismus, da sie die Form über den Inhalt stellt (die Eigentumsverhältnisse über die Produktionsverhältnisse, obwohl letztere ein Teil der ersteren sind, die eine Gesamtheit bilden) und sich somit nicht von dem "Idealismus" unterscheidet, den Marxisten-Leninisten gerne kritisieren.
2. Um nun zum eigentlichen Punkt zu kommen: Die maoistische Konzeption ist eigentlich recht flexibel und macht sehr viel Sinn. Man kann sie sogar mit der marxistischen Konzeption des Sozialismus in Einklang bringen. Allerdings gibt es einige Probleme:
a) Marx und Lenin trennen strikt zwischen der Diktatur des Proletariats und dem Sozialismus als zwei verschiedenen historische Stufen. Für Marx sind Sozialismus und Kommunismus im Wesentlichen dasselbe, ein Aspekt derselben Totalität, der Sozialismus ist bereits klassenlos und lässt alle kapitalistischen Formbestimmungen vermissen, das einzige, was erhalten bleibt, ist das sogenannte "bürgerliche Recht" (und der Staat). Was Lenin betrifft, so stimmt er mit der Unterscheidung von Marx überein und prägt sogar den Begriff Sozialismus für das, was Marx "Kommunismus der niederen Stufe" nannte.
b) Die maoistische Konzeption ist zu weit gefasst und erlaubt es daher, den Sozialismus mit dem Kapitalismus zu verwechseln, denn der Sozialismus als bloßer Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus enthält praktisch alle Formbestimmungen des Kapitalismus, er ist also im Wesentlichen eine kapitalistische Gesellschaft mit einer Diktatur des Proletariats, nicht mehr und nicht weniger. Ich habe bereits erwähnt, dass die DotP dem Sozialismus oder dem Kommunismus der unteren Stufe historisch entgegengesetzt ist, da letzterer alle Aspekte des Kapitals vermissen lässt, während ersterer sie bis zu einem gewissen Grad bewahrt. In diesem Zusammenhang wird deutlich, dass die maoistische Konzeption zu einigen theoretischen Problemen führt, indem sie den Übergang mit der (Nicht-)Produktionsweise verwechselt und damit auch den historischen Materialismus untergräbt, da sie besagt, dass alle Klassengesellschaften ihre eigene Assoziation (Vermittlung) und Dissoziation (Trennung) der Wirtschaftssubjekte haben. Wenn der Sozialismus die gleiche Dissoziation und Assoziation der Produzenten hätte, was würde ihn dann grundlegend vom Kapitalismus unterscheiden?
Betrachten wir nun einen weiteren wichtigen Aspekt: Die maoistische Antwort auf die Probleme mit der sowjetischen Agrarfrage. Mao selbst kritisierte die sowjetische Kollektivierungs- und Agrarpolitik. Seine Kritik hat im Wesentlichen zwei große Punkte:
a) Die Sowjetunion übt zu viel Druck auf die Bauernschaft aus:
The Soviet Union has adopted measures which squeeze the peasants very hard. It takes away too much from the peasants at too low a price through its system of so-called obligatory sales and other measures. This method of capital accumulation has seriously dampened the peasants' enthusiasm for production. You want the hen to lay more eggs and yet you don't feed it, you want the horse to run fast and yet you don't let it graze. What kind of logic is that!
Die Sowjetunion hat Maßnahmen ergriffen, die die Bauern sehr stark unter Druck setzen. Durch das System der so genannten Zwangsverkäufe und andere Maßnahmen nimmt sie den Bauern zu viel zu einem zu niedrigen Preis weg. Diese Methode der Kapitalakkumulation hat die Produktionsfreude der Bauern stark gedämpft. Man will, dass das Huhn mehr Eier legt, aber man füttert es nicht, man will, dass das Pferd schnell läuft, aber man lässt es nicht grasen. Was ist das für eine Logik!
-Mao Zedong: On Ten Major Relationships; April 25, 1956
b) Der sozialistische Aufbau muss sich sowohl auf die Leicht- als auch auf die Schwerindustrie konzentrieren und nicht nur auf die Schwerindustrie, wie in der Sowjetunion:
We have done better than the Soviet Union and a number of East European countries. The prolonged failure of the Soviet Union to reach the highest pre-October Revolution level in grain output, the grave problems arising from the glaring disequilibrium between the development of heavy industry and that of light industry in some East European countries -- such problems do not exist in our country. Their lop-sided stress on heavy industry to the neglect of agriculture and light industry results in a shortage of goods on the market and an unstable currency.
Wir haben besser abgeschnitten als die Sowjetunion und eine Reihe von osteuropäischen Ländern. Das anhaltende Unvermögen der Sowjetunion, den höchsten Stand der Getreideproduktion vor der Oktoberrevolution zu erreichen, die schwerwiegenden Probleme, die sich aus dem krassen Ungleichgewicht zwischen der Entwicklung der Schwerindustrie und der Leichtindustrie in einigen osteuropäischen Ländern ergeben - solche Probleme gibt es in unserem Land nicht. Die einseitige Betonung der Schwerindustrie unter Vernachlässigung der Landwirtschaft und der Leichtindustrie führt zu einem Mangel an Waren auf dem Markt und zu einer instabilen Währung.
-Mao Zedong: On Ten Major Relationships; April 25, 1956
Mao hat die Art und Weise, wie die Kollektivierung in der Sowjetunion durchgeführt wurde, jedoch nie wirklich kritisiert (zumindest ist mir keine direkte Kritik bekannt). Maurice Meisner stellt in seinem Buch jedoch fest, dass sich die chinesischen Kommunisten des Problems der Zwangskollektivierung durchaus bewusst waren. Diese "Kollektivierung von oben" würde zum Auseinanderbrechen der Arbeiter-Bauern-Allianz führen, die die Säule der DotP ist. Maoisten wie Bettelheim kritisieren die sowjetische Kollektivierung und verteidigen die chinesische Kollektivierung gegen sie, die meisten Maoisten sind jedoch sowohl mit der sowjetischen als auch mit der chinesischen Kollektivierung einverstanden.
Ich stimme völlig mit dem Punkt überein, dass die chinesische Kollektivierung freiwillig und ziemlich größenteils im Einklang mit Lenins NEP war. Zunächst war eine Landreform erforderlich, um die Grundstücke an ihre Eigentümer, die Bauern, zurückzugeben. Dies führte zu einer riesigen Masse von einzelnen, isolierten Mittelbauern und der so genannten Kleinproduktion. Als nächstes musste die Landwirtschaft zentralisiert und die bäuerliche Wirtschaft in die staatliche Industrie eingegliedert werden, d.h. hier beginnt der Kampf der Bauern gegen die Kulaken und NEPler (Spekulanten). Der Staat muss die Bauernschaft für sich gewinnen, indem er ihr profitablere Möglichkeiten zur Organisation ihrer Waren und Zugang zu einem besseren Markt verschafft, auf keinen Fall darf der Staat der Bauernschaft seine Politik von oben aufzwingen und sich in diesen Klassenkampf einmischen. Zentralisierung ist hier der Hauptaspekt, wenn der Kapitalismus die Trennung des Produzenten von seinen Produktionsmitteln ist, dann ist der Sozialismus die Integration beider ineinander, d.h. er beinhaltet die totale Zentralisierung der Produktionsmittel in den Händen des proletarischen Staates. Bäuerlicher Individualismus und Kleinproduktion sind das absolute Gegenteil davon, sie zementieren kapitalistische Formen.
Die Volkskommune war nicht ganz so kleinbäuerlich wie ihr russisches Gegenstück, die Kolchose, aber sie hat die Kleinproduktion in China in einem nicht zu vernachlässigenden Ausmaß gefestigt. Zunächst einmal muss man bedenken, dass die Kommune, so sehr sie auch das Eigentum in sich "sozialisiert" hatte, ein individueller Produzent blieb. Die Kommunen verkauften ihre Produkte zwischen sich und dem Staat. Die Tatsache, dass sie Arbeitsvouchers (Labour Vouchers) verwendeten, ändert nichts an der Tatsache, dass hinter diesem Tausch (wie zwischen jedem Tausch in der kapitalistischen Produktionsweise) das Wertgesetz stand. Die Kommune hat also die kapitalistischen Verhältnisse nicht wirklich abgeschafft, sondern sie sogar noch bekräftigt. Außerdem wurde der Staat zugunsten der Kommunen geschwächt:
The centralized bureaucratic economic apparatus was partially dismantled in favor of relative autonomy and decision-making authority for localities and basic production units. Administrative offices were emptied as officials were "sent down" (xiafang) to engage in manual labor on farms and in factories in the name of "simple administration."
Der zentralisierte bürokratische Wirtschaftsapparat wurde zum Teil zugunsten einer relativen Autonomie und Entscheidungsbefugnis der Gemeinden und der grundlegenden Produktionseinheiten abgebaut. Die Verwaltungsbüros wurden geleert, und die Beamten wurden "nach unten" (xiafang) geschickt, um im Namen der "einfachen Verwaltung" auf den Bauernhöfen und in den Fabriken Handarbeit zu verrichten
-Maurice Meisner: Mao's China and After: A History of the People's Republic
Wir sehen von nun an, dass der chinesische Staat sich selbst zugunsten des einzelnen Produzenten schwächte, für mich gilt eine einfache Formel: "Wem das Land gehört, dem gehört der Staat" (die in Bordigas Werk "Die Lösung Bucharins" erwähnt wurde); es gibt einen Grund, warum Lenin in den Aprilthesen die Verstaatlichung allen Landes befürwortete. Es gibt noch weitere interessante Aspekte der Kommune: Die Mobilisierung der männlichen Bauern für Bewässerungs- und Bauarbeiten überließ den Frauen in den Kommunen die Landarbeit und andere Arbeiten auf der Parzelle. Dies ist zwar ein Fortschritt gegenüber der feudalistischen und patriarchalischen Hierarchie, die in China vor dem Großen Sprung nach vorn herrschte, doch ist es eindeutig ein Zeichen für kapitalistische Verhältnisse, da der Kapitalismus eine intensive Mobilisierung der Produktivkräfte und eine Verlängerung (d. h. Intensivierung) des Arbeitstages erfordert. Die Volkskommune ist in der Tat etwas Besonderes, und ich könnte noch lange darüber sprechen. Für meine Analyse der kapitalistischen Verhältnisse in China gewährleistet sie jedoch, dass die Kommune nicht der Schritt nach vorn war, den man hätte erwarten können, wenn man den leninistischen Weg der Entwicklung des ländlichen Raums gegangen wäre.
Dialektik und Philosophie - Konfusionismus
Vorab möchte ich festhalten, dass die maoistische Dialektik und Erkenntnistheorie recht vielfältig und kompliziert ist. Sie reicht von der einfachen Wiedergabe von Stalin und Engels und ihrem naiven Realismus über die Paradigmentheorie von Kuhn (wie J. Moufawad-Paul in seinem Buch "Kontinuität und Bruch" erklärt) bis hin zu einem Purismus, der Maos philosophische Notizbücher und Schriften enthält. Es gibt jedoch einige Verbindungen und identische Inhalte.
Ein ganz wesentlicher Aspekt ist die Reduktion von "Engels 3 Gesetzen der Dialektik" auf das Gesetz des Widerspruchs. Es besagt, dass das fundamentalste und grundlegendste Gesetz der Dialektik die Einheit der Gegensätze ist. Leben und Tod z.B. sind durch ihre Gegensätzlichkeit untrennbar miteinander verbunden, wo es Leben gibt, muss es auch Tod geben. Alles ist durch das Prinzip des Widerspruchs miteinander verbunden. Vor allem Entwicklung muss durch den Widerspruch erfasst werden, hat ein Ding keinen inneren Widerspruch, dann kann es keine Bewegung, keine Entwicklung geben. Äußere Ursachen können nur eine "mechanische Bewegung" hervorrufen, d.h. eine Bewegung ohne Qualitätsveränderung.
The universality or absoluteness of contradiction has a twofold meaning. One is that contradiction exists in the process of development of all things, and the other is that in the process of development of each thing a movement of opposites exists from beginning to end.
Der allgemeine oder absolute Charakter des Widerspruchs ist in einem doppelten Sinn zu verstehen: Erstens existieren Widersprüche in den Entwicklungsprozessen aller Dinge, zweitens existiert im Entwicklungsprozeß jedes Dinges die Bewegung der Widersprüche von Anfang bis Ende
-Mao Tse Tung Ausgewählte Werke Band 1, Verlag für fremdsprachige Literatur Peking 1968; S. 377
Dies ist in der Tat ein gigantischer Fortschritt gegenüber Engels! Seine Reduzierung der Dialekte auf "3 Gesetze" ist Unsinn. Stellt euch vor, jemand würde die Naturwissenschaften auf drei Gesetze reduzieren:
1. Materie zieht sich gegenseitig an
2. Die Geschwindigkeit des Lichts ist absolut
3. Organische Einheiten vermehren sich
Die Dialektik ist keine Methode, keine Formel, die man auf alles um sich herum anwenden kann. Diese Gesetze sind bereits Produkte des Denkens und beschreiben nur unseren Denkprozess und nicht die Dialektik selbst. Warum nennt Hegel seine Philosophie eine "Logik"? Weil sie das Denken des Denkens ist und das ist auch der Grund, warum er mit der Wissenschaft der Logik beginnt:
Die Logik dagegen kann keine dieser Formen der Reflexion oder Regeln und Gesetze des Denkens voraussetzen, denn sie machen einen Teil ihres Inhalts selbst aus und haben erst innerhalb ihrer begründet zu werden. Nicht nur aber die Angabe der wissenschaftlichen Methode, sondern auch der Begriff selbst der Wissenschaft überhaupt gehört zu ihrem Inhalte, und zwar macht er ihr letztes Resultat aus; was sie ist, kann sie daher nicht voraussagen, sondern ihre ganze Abhandlung bringt dies Wissen von ihr selbst erst als ihr Letztes und als ihre Vollendung hervor.
-G.W.F. Hegel: Wissenschaft der Logik, Meiner Philosophische Bibliothek, S. 34f.
Die Logik erzeugt sich selbst durch Denken und Reflexion, diese Gesetze und Definitionen sind das Ergebnis der Logik und nicht ihre Methode. Das ist aber auch der Grund, warum sowohl Engels als auch Mao in dieser Frage falsch liegen, auch das Gesetz des Widerspruchs ist ein Produkt des Denkens, es kann nicht in der logischen Tätigkeit vorausgesetzt werden. Alle Gesetze sind Teil des Ganzen und die Dialektik wäre nichts ohne diese Gesetze, aber es ist wichtig zu erkennen, dass die Dialektik als Ganzes nicht auf diese einzelnen Gesetze reduziert werden kann, da es in ihr zahlreiche, möglicherweise unendliche Gesetze gibt. Stattdessen muss man das Ganze und seine einzelnen Teile betrachten.
Wenn Sie denken, dass dies nur "Hegelscher Unsinn" ist, dann finden Sie die gleiche Logik in Marx' Kapital. Er beginnt mit der Ware, der kleinsten Einheit der bürgerlichen Gesellschaft und dem einseitigsten, abstraktesten Ding. Er sieht in der Ware einen nützlichen Gegenstand, der ein menschliches Bedürfnis befriedigt. Doch schon der Begriff des Gebrauchswertes impliziert die Existenz einer anderen Sache in der bürgerlichen Gesellschaft: Den Tauschwert. So wird der Gebrauchswert beim Tausch aufgehoben (oder eher suspendiert), denn das Einzige, was bei diesem Akt zählt, ist der Tauschwert der Waren. Der Gebrauchswert wird jedoch nicht einfach vernichtet oder ausgelöscht, er bleibt bestehen und wird zum materiellen Träger des Tauschwerts. So haben wir {Nutzwert}-{Tauschwert}, beide werden nicht zerstört, sind aber Gegensätze, die ihre differenzierte Einheit in einem anderen Ding finden: der Ware. Marx setzt in seiner Logik keine "Axiome" voraus, seine Entwicklung dieses Begriffs "die Ware" ist einfach begrifflich/logisch, d.h. er beginnt mit einem unbestimmten Ding und verbindet im Laufe der Untersuchung weitere Begriffe damit und bestimmt es noch weiter. Nachdem wir die Bewegung von der Ware über den Gebrauchs- und Tauschwert zurück zur realen, eigentlichen Ware gesehen haben, stellen wir fest, dass sie die differenzierte Einheit ist, und wir gehen nicht davon aus, dass dies der Fall ist, bevor wir sie analysieren.