Armut der Theorie - Reichtum der Waffen

Wenn jeder Chinese Mao lernen und folglich Mao sein muß, so heißt das, daß er nichts anderes zu sein hat.

-Guy Debord: Die Gesellschaft des Spektakels; Tiamat Berlin, 1996; S. 34 

Ein Resümee

Es werden gerne kleinbürgerliche Luftschlösser gebaut, Maoismus ist in diesem Gebiet definitiv das Neuschwanstein der kommunistischen Bewegung. Eine neue Bescherung des Medienkollektivs "Infrarot" (wessen jahrelanges Mitglied und Hauptbeitragender ich lange Zeit war) gibt mir nun wunderbares Material, um eine neue Polemik aufzurollen - und ja es wird wieder über die Partei und Organisationsformen geredet. 
Allerdings muss ich bereits eines vorwegnehmen: Ich stimme mit dem Artikel des "Kommunistischen Aufbaus" (wohl eher "Kommunistischer Abbau," wenn man die theoretischen Korrektheit ihrer Artikel betrachtet...) nicht überein. Mal abgesehen von der sowieso falschen Darstellung der Theorie des Volkskrieges (bspw. die vollständige Reduktion auf einen Guerillakrieg und das Ignorieren der Drei-Phasen-Theorie etc.) muss der KA von seiner marxistisch-leninistischen und dogmatischen Position aus argumentieren - mit Produktivkräften und Technologie - um überhaupt irgendetwas Kohärentes auf die Beine zu bekommen. Damit beschäftige ich mich aber nicht primär. Würde ich zu jedem Unsinn, den die KA veröffentlicht etwas schreiben, so wäre ich wahrscheinlich die nächsten Jahrzehnte noch beschäftigt. 

Das Proletarische Militär im Proletarischen Staat...

Eine der wichtigeren Themen des Artikels ist die Rolle des Militärdoktrins und der Armee im proletarischen Staat.
Um die Doktrin des Volkskrieges darzulegen, ist es im ersten Schritt notwendig zu verdeutlichen, was eine militärische Doktrin ist und was sie zu dem macht, was sie ist. Diese Frage kann dabei mit einem Satz beantwortet werden: Eine militärische Doktrin ist die Repräsentation des Verständnisses, wie eine militärische Organisation Aktivitäten versteht, sich auf diese vorbereitet und sie durchführt.
Übertragen wir diese Logik doch auf die Philosophie: Die Philosophie ist die Ergründung, das Verstehen und die Deutung der menschlichen Existenz und der Welt. Dabei lässt sich die Philosophie grundsätzlich in mehrere Kategorien oder Teildisziplinen unterteilen [Logik, Ontologie, Ethik, etc.].

Für den normalen Leser klingt dies natürlich richtig, allerdings stellt sich mir eher die Frage, welchen Platz Marxismus in der Philosophie einnimmt. In einem meiner vorherigen Einträge habe ich dieses Thema schon ein wenig angekratzt, speziell ging es um maoistische Philosophie und ihre Probleme. Absichtlich ließ ich dabei ein Thema aus: Was ist Marxismus und was macht ihn besonders verglichen mit anderen philosophischen Richtungen? Insbesondere Marxisten-Leninisten und Maoisten beharren darauf, dass der materialistische Doktrin die marxistische Philosophie so besonders macht, das ist allerdings eine riesige Vereinfachung des Themas (wie so vieles im Maoismus), Marxismus ist nicht einfach nur ein Materialismus, wie man ihn bei den alten Griechen findet oder bei bspw. den französischen, mechanischen Materialisten sondern der Marxismus führt eine bestimmte Größe, eine bestimmte Kategorie ein, welche den gesamtem Materialismus transformiert. Immer wieder fällt das Wort "Praxis" aber was ist eigentliche diese Praxis und woher kommt sie, was hat das alles noch nebenbei mit Militärtheorie zu tun?

Marxismus ist keine einfache Philosophie, sondern eine "Antiphilosophie", eine Gegenbewegung zur Philosophie. Marxismus ist von Kern auf eine anti-utopische Bewegung, keine Bewegung, welche kein Ideal besitzt oder eine ideale Gesellschaft anstrebt, sondern "die wirkliche Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt" (vgl. Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, Band 3, Dietz Verlag, Berlin/DDR, 1969; S. 35). Nun müssen wir den Schritt zurück zur "marxistischen Militärtheorie" wagen.

Dementsprechend müsste eine marxistische Militärtheorie auch eine Anti-Militärtheorie sein, eine Bewegung gegen des bürgerliche Militär und seine Trennung vom Proletariat, gegen die Hierarchie der Armeen und ihrer drakonischen Disziplin. Natürlich müssten in einer Armee trotzdem Kommandostrukturen überleben, sowas würde als "Hierarchie" zählen (wenn man sich zumindest sehr auf Engels stützt), aber bürgerliche Armeen führen eine weitere Form der Hierarchie mit sich, der Trennung des Offizierskorps von den eigentlichen Truppenverbänden. Während Bauern und Arbeiter in den Fleischwölfen des Ersten Weltkrieges regelrecht zermalmt wurden, saßen die Generäle und Offiziere in ihren vergleichsweise sicheren und gemütlichen Gräben und gaben Befehle heraus, die tausenden das Leben kosten würden, auf Basis ihrer eigenen Entscheidung. War ein Soldat nicht einverstanden, drohten brutale Strafen bis hin zu Erschießungen. So eine Armee muss vermieden werden, in denen Soldaten - Arbeiter und Bauern - Stehaufmännchen ihrer Vorgesetzten werden. So wurden in der Roten Armee am Anfang des Bürgerkriegs "bürgerliche Address- und Respektformen abgeschafft" und erst später wieder eingeführt (vgl. Charles Bettelheim: Class struggles in the USSR First Period: 1917-1921; MR Press, 1976).

Ein stehendes Heer bringt ein großes Problem mit sich: Bürokratisierung, so sagte Marx bereits in seinem Werk über die Pariser Kommune: 
Die zentralisierte Staatsmacht, mit ihren allgegenwärtigen Organen stehende Armee, Polizei, Bürokratie, Geistlichkeit, Richterstand, Organe, geschaffen nach dem Plan einer systematischen und hierarchischen Teilung der Arbeit - stammt her aus den Zeiten der absoluten Monarchie, wo sie der entstehenden Bourgeoisgesellschaft als eine mächtige Waffe in ihren Kämpfen gegen den Feudalismus diente.

- Karl Marx/Friedrich Engels - Werke, Band 17; Dietz Verlag, Berlin/DDR, 1976; S. 313-365.

Eine Frage ist also, wer herrscht über wen? Partei über das Militär oder das Militär über die Partei (oder gibt es eine Vermengung von Partei und Militär, sowas wie eine "militarisierte Partei" o.Ä.)?
Unter keinen Umständen darf das Militär und die Partei miteinander verwechselt werden, sie sind nicht dieselbe oder eine direkt vereinigte Institution, wenn die Partei der revolutionäre Kern ("der klassenbewussteste Nukleus") der kommunistischen Bewegung ist und die Armee eine Volksarmee, also nichtmal ein stehendes Heer, so wird bewusst, wer wo das sagen haben sollte. In China wurde in diesem Aspekt allerdings vieles richtig gemacht, die Offiziere in der Armee waren überwiegend kommunistisch, die Armee hatte kaum Kontrolle über Regierung oder die Partei, sie wurde jedoch oft "einberufen" um innerparteiliche Konflikte zu lösen (was per se kein Problem ist). Es gab allerdings die Illusion, dass die Volksbefreiungsarmee genau so wie die Partei an sich revolutionäre Ideale tragen würde, also eine ähnliche Institution, wie die Partei ist. Dies sind die Gefahren der Armee (vgl. Maurice Meißner: Mao's China and After - A History of the People's Republic; The Free Press, New York, 1977; S. 278-279).

Leninismus ohne Lenin

Eine Sache, welche mir sofort auffällt, ist, inwiefern der Begriff der "Doppelherrschaft" missbraucht oder missverstanden wird. Als Lenin "Über die Doppelherrschaft" sprach, hat er den Begriff definitiv nicht auf das rein militärische Verständnis der Maoisten beschränkt, man vergleiche einmal den Text von Infrarot mit Lenins Einleitung in das Thema:
Strategisch stehen die revolutionären Kräfte einer gegen zehn Feinde. Taktisch müssen sie dieses Verhältnis jedoch umkehren und, wenn sie sich dem Feind stellen, zahlenmäßig überlegen überraschen und die feindlichen Kräfte vernichten. Mit dieser Methode wird dann der Feind Stück für Stück aufgerieben und die Situation zugunsten der revolutionären Kräfte in einem Gebiet verschoben. Gleichzeitig müssen die revolutionären Kräfte damit beginnen, die Doppelmacht aufbauen. In China wurde diese Doppelmacht durch die weitreichende Errichtung von befreiten Gebieten gebildet. [fetter Nachdruck von mir - F. M.] Was konkret heißt, wird in einem eigenen Abschnitt erläutert.
Und Lenin:
Worin besteht die Doppelherrschaft? Darin, daß sich neben der Provisorischen Regierung, der Regierung der Bourgeoisie, eine noch schwache, erst in Keimform vorhandene, aber dennoch unzweifelhaft wirklich existierende und erstarkende andere Regierung herausgebildet hat [fetter Nachdruck von mir - F. M.]: die Sowjets der Arbeiter- und Soldatendeputierten.
[...]
Sie ist eine revolutionäre Diktatur, d. h. eine Macht, die sich unmittelbar auf die revolutionäre Machtergreifung stützt, auf die unmittelbare Initiative der Volksmassen von unten, und nicht auf ein von einer zentralisierten Staatsmacht erlassenes Gesetz. 

-W. I. Lenin - Werke Band 24; Dietz Verlag, Berlin/DDR, 1959; S. 20

Ein Unterschied macht sich bemerkbar, mit Doppelherrschaft meint Lenin das Aufkommen eines proletarischen Staates, die Herausbildung einer Art Staatsapparat, die nicht einem bürgerlichen Staat entspricht, eine Gegenbewegung. Das Wort "Keimform" hat ebenso seinen Sinn, dieser Staat ist insofern eine Keimform, da sie aus nicht klassenbewussten Arbeitern und Bauern besteht, dieser Staat ist eine "primitive" Organisationsform eines Proletariats, dass sich in der Phase der Konsolidierung befindet. Generell ist ein sehr auffälliges Problem des Maoismus (und auch Maos) die Frage des Klassenbewusstseins und die Korrespondenz zwischen Formen der Organisation und Revolution. Die "Massen" sind kein Lexikon der Wahrheit sondern zuerst eine ungeformte Masse gegen das Kapital, eine Volksarmee oder Armee der Massen ist ebenso eine ungeformte Masse gegen das Kapital (was uns zum Punkt vorher zurückführen würde, was unterscheidet Massen und Armee bspw. von der Partei).

Einer der wichtigsten Beiträge Lenins war seine Theorie des Klassenbewusstseins und seine anschließende Entwicklung jener in eine Theorie der kommunistischen Partei. Genau darin liegt auch das Problem der Drei-Phasen-Theorie, darauf möchte ich aber später nochmal etwas genauer eingehen. In einer gewissen Art und Weise ist diese Theorie doch nicht falsch, allerdings ist sie auch nichts weiter als eine Abstraktion, mit einer gewissen Dehnung jeder Begriffe kann man alles in dieses Schema quetschen, von der Oktoberrevolution bis zur chinesischen Revolution. Eine wirkliche Antwort auf die brennenden Fragen ("Was sind die Massen?" "Was ist Praxis?" "Was ist das Verhältnis zwischen Organisationsformen und Revolution?") wird es hier nicht geben und ohne jene wird jede marxistische Analyse untergraben.

Die wahre Drei-Ph(r)asen-Theorie

In diesem Prozess bietet der Volkskrieg die beste Perspektive für die proletarische Revolution in Deutschland, denn die revolutionären Kräfte sind zahlenmäßig der Reaktion gnadenlos unterlegen sind und dies für eine unbestimmte Zeit so bleiben.
Diese Zeilen sind wirklich schmerzhaft. Nicht nur, weil sie wie Blanquismus klingen, sondern weil sie insbesondere keinen Sinn ergeben mit den vorher gelieferten Zitaten. Sowohl Lenin, als auch Mao, setzen voraus, dass es eine universelle Armee gibt, nicht notwendigerweise stehend, eine allgemeine Bewaffnung des Proletariats (da gibt es auch ein bekanntes Zitat von Marx dazu, was gerne missbraucht wird, um alles mit Waffen zu rechtfertigen, dieses Rätsel überlasse ich aber mal dem Leser). Lenin ist in zwei Werken besonders klar darüber: "Über die Doppelherrschaft" und "Über die Proletarische Miliz"
Wir sind keine Blanquisten, keine Anhänger der Machtergreifung durch eine Minderheit Wir sind Marxisten, Anhänger des proletarischen Klassenkampfes gegen den kleinbürgerlichen Taumel, gegen den Chauvinismus und die Vaterlandsverteidigung, gegen die Phrase, gegen die Abhängigkeit von der Bourgeoisie. 
Die Abschaffung des stehenden Heeres ist einer der höchsten Prioritäten der Diktatur des Proletariats, ihre langsame Liquidierung, der Zerschmetterung des Offiziers- und Generalsstabs und ihre Unterordnung unter die Partei.
Das Minimalprogramm der Sozialdemokratie fordert die Ersetzung des stehenden Heeres durch die allgemeine Bewaffnung des Volkes

 -W. I. Lenin - Werke Band 24; Dietz Verlag, Berlin/DDR, 1959; S. 168

Es ist Paradox, von den Massen zu reden, von Volksarmeen und revolutionärer Praxis unter dem Proletariat, um dann einen Kampf der Minderheit gegen die Mehrheit starten zu wollen und ich weiß, welcher theoretischer Inhalt dahinter steckt, ich weiß, dass das Medienkollektiv sämtliche sinnvolle Analyse des Imperialismus ablehnt und in Deutschland genau so, wie in allen anderen Ländern die Massen als gegeben sieht - dies wird ein schwerwiegender Fehler sein.

Was die ganze Sache noch einmal wunderbar abrundet, ist die Selbstreflektion in selbigem Kapitel:
Im Gegensatz zu den Bolschewiki kann die Arbeiterbewegung in der BRD nicht auf eine kürzliche kämpferische Vergangenheit zurückgreifen (die Bolschewiki und die Volksmassen hatten bereits revolutionäre Erfahrungen in der Revolution von 1905 sammeln können) und es gibt keinen großflächigen Rückhalt für die proletarische Revolution innerhalb der Streitkräfte der Reaktion, aus der wir die Volksarmee aufbauen können.
Hier könnte man sich nun hinsetzen und sagen, es stimmt, gibt es keine Volksarmee, dann gibt es nichts für das Volk, aber das wäre falsch. Man sollte eher sagen, gibt es kein Volk, dann gibt es nichts für die Volksarmee. Das wäre die korrekte Formel für sämtliche kommunistische Organisation in Deutschland oder generell dem Westen bzw. noch allgemeiner: Ländern mit hohem Einkommen.

An diesem Punkt bin ich mir relativ sicher, dass dies nicht der letzte Ausrutscher des Medienkollektivs Infrarot ist. Allerdings würde ich viel zu weit über das Thema hinausschießen, wenn ich jetzt über eine Analyse des Imperialismus diskutierte. Somit lasse ich dieses Fass noch unberührt, in meiner nächsten Ausgabe wird dies allerdings wahrscheinlich das Thema werden, sollte es zu einer Antwort kommen.
 

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